Rezension Ralf Prange

Von RALF PRANGE – © Die Berliner Literaturkritik, 01.11.07
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Denn selig sind auch die Kranken
Der Theologe Ulrich Bach über Krankheit und Christentum

Von RALF PRANGE – © Die Berliner Literaturkritik, 01.11.07

Was ist das – Theologie nach Hadamar? Ulrich Bach hat ein intensives Plädoyer vorgelegt, das die Frage nach Gesundheit und Heil in der Theologie neu stellt. Wie oft lesen bzw. hören wir in der Bibel von jesuanischen Heilungen – Lahme gehen, Blinde sehen und Stumme bekommen wieder eine Stimme. Tolle Erzählungen von großer Kraft und schönem Eindruck sind das, aber, so fragt Pfarrer Bach als langjähriger Leiter der Volmarsteiner Anstalten, wie sollen Menschen mit ihren Krankheiten, Schwächen und Behinderungen diese Heilungswunder verstehen? Sind sie, die nicht perfekt gesunden, die eingeschränkter leben Müssenden, also nicht von Gott gewollt, nicht Teil der guten Schöpfung? Hatten am Ende die Nazis doch recht mit der Vernichtung Kranker an Unorten wie dem genannten Hadamar.

Wie es eine Theologie nach Auschwitz geben muss, die sich von derjenigen vor diesem Grauen deutlich unterscheidet, so muss es auch eine neue Theologie nach Hadamar geben, und diese hilft allen in unserer Gemeinschaft, sich besser zu verstehen als Gesündere und Kränkere. Annehmen können von Krankheit und Behinderung gehört dann ebenso dazu wie die laute Klage, die Anklage an Gott ob dieses Schicksals.

Am meisten müssen alle diejenigen dazu lernen und in Bachs gewaltigem Werk lesen, die bisher die Verwandlung Kranker in Gesunde als natur- und gottgewollte Ordnung gesehen haben. Die Schwächsten in unserer Mitte, in der Kirche ebenso wie in der Gesellschaft überhaupt, werden mit den Gesunden zusammen leben müssen ebenso wie mit ihren Krankheiten. Sie werden realiter eben nicht morgen von Jesus getroffen und geheilt, und doch sind sie so in Ordnung, wie sie nun einmal ausgestattet sind. Und das durchzubuchstabieren ist eben mehr als schwer!

Ulrich Bach versucht es, auf fast 500 Seiten, immer wieder neu die Situationen des Lebens und die Texte der Bibel ins Gespräch bringend. Sein Buch ist dabei von verwirrender Verästelung in kleinste Details voll wie von großen Entwürfen. Ich konnte wunderbar darin schmökern, dann wieder konzentriert lesen, dann schmunzelnd blättern. Mich reizt diese Sammlung unterschiedlichster Aufsätze zum Thema zum ständig neuen Nachdenken und Infragestellen von Altbekanntem. Nicht zuletzt lassen sich auch hervorragende Predigten über die Heilungswunder des Neuen Testamentes aus der Lektüre und Bearbeitung des Buches entwerfen.

Eine neue Sicht, die vielen in unserer Gesellschaft, so habe ich es wahrgenommen, sehr gut tut. Endlich werden sie einmal ernst genommen und für voll erachtet mit allem, was krumm und stinkend ist an der eigenen Existenz. Was ist der Mensch? Diese Frage beantwortet Ulrich Bach nicht mit einem Hochglanzprospekt, sondern mit der scharfen Feder des genau hinsehenden und dabei eben nicht selbst urteilenden Verstands des ebenso klugen wie biblischen Theologen.

Bleibt mir als Rezensenten also nur, diesem gelungenen, Michael Schibilsky gewidmeten Werk fünf Sterne zu geben und ihm viele Leser und Leserinnen zu wünschen.

Ralf Prange ist Vikar in Berlin und schreibt als freier Autor für dieses Literatur-Magazin.

Literaturangaben:
BACH, ULRICH: Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz. Bausteine einer Theologie nach Hadamar. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2006. 512 S., 34,90 €.