Rezension Hilde Schädle-Deininger

aus:
Psych Pflege 2008; 14:167-184

Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz – Bausteine einer Theologie nach Hadamar

Bach, Ulrich: Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz – Bausteine einer Theologie nach Hadamar, Neukirchener Verlag Neukirchen Vluyn 2006, 512 Seiten, 34,90 €, ISBN 3-7887-2160-X

“So ging es nicht weiter – in der Kirche – wie vor 1933 – Antisemitismus und Nationalstolz – auch in der Kirche – auch bei Theologen – Wegschauen später – als die Juden geholt wurden – Holocaust – die Öfen glühten – in Auschwitz und andernorts – nötig wurde Buße – kirchliche Umkehr – Theologie nach Auschwitz
So geht es nicht weiter – in der Kirche – wie vor 1933 – Stärke und Stolz auf eigene Gesundheit – Diskriminierung der »Minderwertigen« – auch in der Kirche – auch bei Theologen – Wegschauen später – als behinderte Menschen geholt wurden – Euthanasie – die Öfen glühten – in Hadamar und andernorts – nötig wird Buße – kirchliche Umkehr – Theologie nach Hadamar”

Dieses Gedicht der Verfasser steht am Anfang des Buches und fasst zusammen, was wichtig ist, wenn über die Haltung der Kirche, ihre Verfehlungen, ihre Bereitschaft zu Nachdenken und Stellungbeziehen geschrieben und zum Nein-Sagen in verfänglichen Situationen aufgefordert wird. Ich habe mich auch gefragt, ob es Zufall ist, dass der Autor das Vorwort zu diesem Buch Ostern 2006 verfasst hat, denn auch zu Lebzeiten Jesu ging ein Riss durch die Reihen.

Die Frage nach dem Absoluten bzw. Unumstößlichen, aber auch bekennender Einstellung bzw. Grundhaltung  kommt aus meiner Sicht ebenso zum Tragen wie das sich auf Situationen Einlassen und Lösungen ganz individuell Suchen. Das Buch gründet auf Bibelstellen und ist gespickt mit Quellen und Querverweisen, Belegen aus theologischen Schriften, Veranstaltungen,philosophischen Hintergründen und aktuellen, auch politischen Diskussionen. Deshalb kann alles zu Papier gebrachte nur bruchstückhaft sein.

Ein paar fragmentarische Inhalte sollen dies verdeutlichen: Der Umgang mit Stärken und Schwächen wird als Lernfeld theologischer Arbeit dargestellt. In diesem Zusammenhang wird unter anderem versucht, aufzuzeigen, dass es auch im Bereich Gesundheit, Krankheit, Behinderung, Leistung sinnvoll und notwendig ist, eine kontextuelle Theologie zu entwickeln, die auch “Nicht-Annehmen” zulässt, auch darauf verweist, dass selbst in der Bibel mit Gott gehadert wird, wie beispielsweise Hiob zeigt. Das Kapitel “Theologie nach Hadamer – als europäische Befreiungs-Theologie” könnte vielleicht mit den Worten zusammengefasst werden: Der Mensch hat eine angeborene Würde, die durch nichts und durch niemanden infrage gestellt werden kann. Und – Hoffnung gehört zu den zentralen Begriffen des Evangeliums. Gleichzeitig sind auch Leid, Tod nicht nur Randerscheinungen im Kontext des Glaubens. Und das ist kein Widerspruch! “Theologisch gesprochen: Das Bekenntnis zu dem einen Gott können wir nicht durchhalten, wenn wir ihn auf die Rolle des Schön-Wetter-Gottes festlegen. Diese religiöse Weltanschauung zerbricht bei jeder Begegnung mit Schwerkranken und erst recht, wenn wir selber schwer erkranken oder in jungen Jahren von den Ärzten hören, nur noch eine eng befristet Lebenszeit vor uns zu haben. Der eine Gott lässt sich im Glauben nur durchhalten, wenn wir ihn wirklich Gott sein lassen und zugeben, ihn nicht zu verstehen.” Als Quintessenz und Grundaussage zu den Überlegungen “Wir sind in die Irre gegangen” und zur Diakonie in den Jahren vor 1933 und nach 1945 könnte die Äußerung der Synodalerklärung der Evangelischen Kirche im Rheinland “Erklärung zur Zwangssterilisation, Vernichtung so genannten lebensunwerten Lebens und medizinischen Versuchen an Menschen unter dem Nationalsozialismus” vom Januar 1985 gesehen werden, in der es heißt “Der geistige Hintergrund, aus dem jene Aktionen erwachsen sind, muss deutlicher werden, damit erneute Gefährdungen wehrloser Menschen verhindert werden können”. Beginnend auf der Seite 333 (!) zeigt der Autor seinen Weg zu einer Theologie nach Hadamar auf und stellt Anders-Sein, Behindert-Sein und einem bestimmten Volk anzugehören in Beziehung zueinander. “Selbstverständlich sehe ich die Gefahr, dass ich Unvergleichbares zu rasch mit anderem zusammenbringe. Jude-Sein ist etwas anderes als Behindert-Sein, ohne Zweifel. Und trotzdem: Näher beieinander sind schon die Frage des Nicht-Juden: Wie begegne ich einem Juden? Und die Frage des Nicht-Behinderten: Wie begegne ich einem Behinderten? Relativ nahe beieinander liegt auch das Unvermögen der Theologie, jüdische Menschen als gleichberechtigte Partner zu sehen und ihr Unvermögen, das Gleiche im Blick für behinderte Menschen hinzubekommen. Extrem nahe beieinander lagen bestimmte Vernichtungsmethoden der Nationalsozialisten: Bei der Vernichtung Geisteskranker in Pommern und im Wartheland wurden Gaswagen mit der Tarnaufschrift ‘Kaisers-Kaffee-Geschäft’ eingesetzt, Tötungsmaschinen, wie sie wenig später bei der beginnenden Judenvernichtung benutzt wurden.”

Eine ganz andere Annäherung an das Thema Holocaust und Nationalsozialismus. Beeindruckt hab mich vor allem die nachdenkliche, selbstkritische und fundierte Art und Weise, sich mit der Thematik aus theologischer Sicht auseinander zu setzten und gleichzeitig den Bezug zu sich selbst und zur heutigen Situation in Kirche und Gesellschaft herzustellen. Dies ist in einer sehr eindringlichen, machmal auch harten Form in den einzelnen Kapitel und Themen gelungen. Der Autor, Theologe und von einer Behinderung betroffen, hat mich in seinen vielfältige Ansätzen sehr beeindruckt – dabei besonders sein Anliegen, Konsequenzen für ein künftiges Wachsam-Sein gegenüber Anfängen des Ausgrenzens anzudenken.

Mit der Besprechung des Buches habe ich mcih allerdings sehr schwer getan.

Das hat viele Gründe. Das Buch fordert einen Nicht-Theologen sehr heraus. Zudem ist Hadamar mir sehr nache, da ich es als Unterrichtende im Gesundheitswesen als ein Muss finde, mit jedem Lehrgang einen Unterrichtstag in Hadamar zu verbringen, das bedeutet, sich immer wieder neu einzulassen auf die unmenschlichen Geschehnisse, gleichzeitiges Nachdenken über die Beteiligung  von Pflegenden swie eine Überprüfung der eigenen Haltungen und ideologischen Beeiflussung.

Es hat sich trotz der Mühe gelohnt, sich durch das Buch zu beißen. Denn hängengeblieben ist, dass das Mensch- und Mitmensch-Sein auch Widerstand beinhaltet und sich für Schwache und Andersartige einzusetzen. Dass Diakon (Gemeindehlefer, Krankenpfleger) sein, dienen und Gehilfe-Sein meint. DAmit ist ganz zentral zu verbinden, welche Traditionen der helfenden Berufe, zu denen ich nehben den Gesundheitsberufen auch einen Teil der Ausübung des theologischen Auftrags zähle, immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden und die berufliche Ausübung mit prägen müssen.

Hilde Schädle-Deininger, Offenbach

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