Aus:
Zeitzeichen 5/2007
Ebenerdig denken
Eine Behinderung ist gute Schöpfung Gottes
Ulrich Bach: Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz.
Neukirchener Verlag, Neukirchen 2006,
512 Seiten, Euro 34,90.
Apartheidsdenken kennzeichnet unsere Kirche und Gesellschaft, ein Riss zwischen Nichtbehinderten und Behinderten, Gesunden und Kranken, Starken und Schwachen.
Ulrich Bach, selbst behindert und ehemaliger Pastor der Volmarsteiner Anstalten, möchte eine Gegenwirklichkeit erkennbar machen. Mit einem Paukenschlag setzen seine biographischen und theologischen Bausteine ein: „Gott will, dass dieses (behinderte) Leben mein Leben ist!“ Damit ist der Takt vorgegeben. Krankheit und Behinderung gehören zur guten (!) Schöpfung. Sie sind keine Panne Gottes, sondern Realitäten innerhalb eines „Patientenkollektivs“, dem alle Menschen angehören. Die Art und Weise, wie heute Leistung und Gesundheit vergötzt werden, ist dagegen ein Zeichen gottfeindlicher Versklavung.
Hadamar, die nationalsozialistische Tötungsmaschinerie zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, wird zum Symbol für eine Euthanasie-Mentalität, die auch nach ‚945 Nährboden für eine Theologie ist, die das Defizitäre aus der Definition des Humanum streicht. Eine Welt, in der Krankheit, Schwäche und Tod ausgeklammert werden, in der jeder und jede zum „Quasi-Gott“ mutiert, kann weder für Menschen mit Behinderungen noch für andere eine Heimat sein. Jede naiv-selbstverständlich gelebte Stärke kann plötzlich zerbrechen. Deshalb geht es Ulrich Bach nicht um eine Sondertheologie, es geht ums Ganze des Glaubens.
Methodisch bewegt sich sein kontextueller Entwurf vom Nachdenken über Menschen mit Behinderungen zum Gespräch mit ihnen und zur Theologie durch sie. So entsteht ein ebenerdiger Diskurs, eine Reflexion ohne Denkbarrieren.
Vehement nimmt Bach gegen das Vorurteil Stellung, Jesus bekämpfe Krankheit und Behinderung als das Böse. Die Exegese der markinischen Heilungsgeschichten zeige, dass zwischen Krankheit und Besessenheit unterschieden werden müsse. Damit werde auch einer vorschnellen Identifizierung von Heil und Heilung der Boden entzogen. Im Blick auf das Reich Gottes sei es völlig egal, ob jemand gesund ist oder nicht.
Nur wenn die dunklen Seiten Gottes zugelassen werden, können Menschen mit Behinderungen ihre Situation als Gabe und Aufgabe annehmen. Die Theodizee-Frage bleibt unbeantwortet. Bach weist darauf hin, dass auch Jesus hilfsbedürftig gewesen sei. Er habe sich auf die Rolle des Opfers fixieren lassen – ein Nichts, ein Verlierer. Dennoch gehe vom Kreuz die befreiende Frohbotschaft aus: Gottes Ja gelte jedem Menschen!
Bei Bach keimt eine Spielart abendländischer Befreiungstheologie auf. Wie Reichtum und Armut einen gesellschaftlichen Riss markieren, so deckt seine „Theologie nach Hadamar“ im Bereich von Behinderung und Krankheit selektierende Tendenzen auf und trägt zu ihrer Überwindung bei. Massiv kritisiert Bach die „Praktische Ethik“ Peter Singers und bioethische Weltanschauungen, die nicht jedem Menschen gleiche Würde und gleiches Lebensrecht zumessen.
Das Alterswerk des inzwischen im bergischen Rönsahl lebenden Theologen und Diakonikers versteht sich nicht als „Vermächtnis“, sondern als ein „ziemlicher Brocken“, der zu einem neuen Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen provozieren will. Welche praktischen Schritte nötig sind, um aus seinen theologischen Bausteinen ein „ebenerdiges“ Lebens- und Glaubensgebäude entstehen zu lassen, bleibt offen. Integrative Bildungsansätze in Kindertagesstätten und Schulen sowie neue Formen gemeinschaftlichen Wohnens und die Auflösung der traditionellen Anstalten könnten Bachs Theologie nach Hadamar konkrete Konturen verleihen. Denn ohne die Schwächsten ist weder die Kirche noch die Gesellschaft, in der wir leben, ganz.
Klaus Eberl