Ulrich Bach

„Ulrich Bach (* 26. Mai 1931 in Solingen-Widdert; † 8. März 2009 in Bergisch Gladbach) war ein evangelischer Theologe. Er wurde bekannt durch sein Nachdenken über Gesunde und Behinderte in Diakonie und Theologie. Vor seinem Ruhestand war er Pastor in der Evangelischen Stiftung Volmarstein und Dozent für Neues Testament und Dogmatik an der Diakonenanstalt Martineum. Für seine theologischen Leistungen erhielt er 1981 die Ehrendoktorwürde der Evangelischen Theologie in Bochum und 2002 den Wichernpreis in Berlin.“

So beginnt der Artikel zu Ulrich Bach bei Wikipedia

Hier finden sich Gedanken, Texte, Rezensionen und Erinnerungen an einen Theologen, der aus dem Rollstuhl heraus lutherische Theologie noch einmal ganz anders buchstabierte – und der darum nicht vergessen werden sollte.


Persönliche Erinnerungen an Ulrich Bach
(26.5.1931 – 8.3.2009)

Ich erinnere mich noch genau, wie ich ihn zum ersten Mal sah. Er trug seine Volmarsteiner Rasiertexte in der Bochumer Westfalenhalle beim CVJM-Ostertreffen vor. Vormittags, und dann nachmittags noch einmal einen Text, nachdem der Hauptredner, nach langer schwerer Krankheit endlich wieder genesen, seine Zeit hemmungslos überzogen hatte.

Ulrich Bach rollte nach vorne und kündigte an, angesichts der fortgeschrittenen Zeit nur noch einen seiner Texte vorzutragen.

Ich war damals ca. 16 Jahre alt und fand es beeindruckend, wie dieser Mensch ohne jegliche Begleitung halb gesungen, halb gesprochen das “Lied vom Asozialen” vortrug. “

Später dann, ich hatte gerade mit dem Theologiestudium für das Lehramt begonnen, erhielt Ulrich Bach die Ehrendoktorwürde in Bochum verliehen. Immer im Sommersemester las er zu den verschiedenen Themen rund um “den behinderten Menschen als Thema der Theologie” und vermittelte lutherische Theologie.

Wir begegneten uns immer wieder, mal lud ich ihn nach Essen zum Jugendmeeting des CVJM Essen-West ein, dann war er Referent bei der Auswertungstagung zum Diakoniepraktikum,,,

Warum ausgerechnet im Lokalteil der Essener WAZ auf seinen Abschied hingewiesen wurde, wird für mich ein dauerhaftes Wunder bleiben. Nach einer ermutigenden Pfingstpredigt (sie ist in “Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz” abgedruckt) wurde er völlig zu Recht von zahlreichen Rednern gelobt und konnte mit dem gebührenden Dank in den Ruhestand verabschiedet werden.

Ich kenne kaum einen Menschen, der so sorgfältig auf die Befindlichkeiten einzelner Gruppenteilnehmer achten und darauf eingehen kann. Um so erstaunlicher war sein Geständnis, er habe einmal beim Thema Gewalt eine der Gruppenteilnehmerinnen nicht ernst genug genommen. “Über Gewalt kann ich auch etwas erzählen!” – “Du bist hier in Volmarstein so behütet, was willst Du hier über Gewalt erzählen?”

So behielt sie ihre Erfahrung für lange Jahre für sich, bis sie dann  doch einmal von ihrer Puppe erzählte. Sie hätte diese selbstgebastelte Puppe gar nicht haben dürfen. Die Diakonissen nahmen den Kindern die Geschenke ab und leiteten sie an Kinder in den Missionsgebieten weiter, denen es noch viel schlimmer ging. Aber in diese Puppe hatte sie sich verliebt, und so versteckte sie sie unter der Bettdecke.

Eines Nachts rutschte die Bettdecke hoch, die Puppe geriet in den Taschenlampenkegel der Nachtschwester. Das Mädchen wurde wach gemacht, die Puppe wurde zerrissen, weil es sich nicht an die Spielregeln gehalten hatte. Die Diakonissen hatten es nur gut gemeint, aber es war Gewalt, zweifellos. “Das Gute will ich, das Böse vollbringe ich”, Ulrich Bach hätte den Apostel Paulus sicherlich sorgfältiger zitiert, als ich es hier tue, aber deutlich wird mir zumindest, dass Kirche nie perfekt war, niemals perfekt sein kann, und dass somit immer wieder Menschen schrecklich unter ihr und ihrem “Bodenpersonal” leiden müssen.

Doch, gerade auch die Kirche ist nicht perfekt. Wenn wieder einmal aus Rom eines der Signale kommt, dass die Evangelische Kirche gar keine Kirche sei, sondern “allenfalls eine kirchliche Gemeinschaft”, dann habe ich bei Ulrich Bach gelernt, dass dies in Wirklichkeit eine Auszeichnung ist.

Theologisch will die römisch-katholische Kirche als Kirche Jesu Christi perfekt sein. Das wirkt sich in fast alle ökumenischen Streitpunkte aus: Ekklesiologie, Ämterfrage, Sakramente. Im Jahr 2000 hat sich der Papst für die Verfehlungen von kath. Christen entschuldigt, niemals aber für Fehler der Kirche. Denn der kath. Ideologie entsprechend kann es solche Fehler in der Heiligen Kirche niemals geben. Wie unmenschlich wird die Kirche da oftmals gegenüber Menschen, die eigentlich Hilfe und nicht Maßregelungen brauchen?

Wer sich als Teil eines Patientenkollektivs versteht, in dem Starke und Schwache sich gegenseitig stützen und aufrichten und von Gott getragen werden, der kann sich nicht mehr daran stoßen, wenn jemand daran festhält: Die reale Kirche ist nicht fehlerlos, sie ist nicht perfekt und wird es niemals sein.

Gott bleibt gerade auch den Menschen in ihren Niederlagen und Schwächen solidarisch zugewandt: Dieser Glaube hat mich durch so manches tiefe Tal in meinem Leben getragen; auch in jener Zeit damals, als in meiner eigenen Kirche für einige Jahre fast nur noch Einser- und Zweierkandidaten ohne Erfahrungen des Scheiterns in den Pfarrdienst gelassen wurden.

Kirche ist nur zusammen mit Schwachen und Scheiternden ganz. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis von Ulrich Bach so nachhaltig bei seinen Zuhörerinnen und Zuhörern eingepflanzt wurde, dass sie eine dauerhafte Mahnung und Ermutigung bleiben wird.

Kirche ist nicht die Gemeinschaft der Perfekten, sondern die Gemeinschaft der von Gott geheiligten Sünder.

Ist es ein Widerspruch, wenn ich mir meinen theologischen Lehrer Ulrich Bach nun ohne Rollstuhl, ohne die Schwierigkeiten des Post-Polio-Syndroms verstelle, einfach nur geborgen und aufgerichtet in Gottes Gnade?

Jesu Botschaft begann mit der Predigt, dass Gott den Menschen ganz nahe sein will. Ulrich Bach ist nun ganz von Gottes Nähe umgeben und darin geborgen.

In diesem Trost fühle ich mich mit allen verbunden, die immer noch um Ulrich Bach trauern.

Bernd Kehren
(leicht bearbeitet 27.7.2023)


Warum: „(K)eine Theologie der Behinderten“?

Dazu möchte ich auf einen Absatz aus dem Wikipedia-Artikel verweisen:
„Ulrich Bach distanziert sich klar von einer „Genitivtheologie“ (Theologie „der“ Behinderten), da er Behinderte nicht als einen Sonderfall betrachten möchte. Stattdessen sieht er in seiner Theologie eine Form abendländischer Befreiungstheologie. Zu oft ist der „gesunde“ abendländische Mensch in einem Perfektheitswahn gefangen. Demgegenüber betont Bach die Unvollkommenheit und Begrenztheit des Menschen, die jeden Menschen grundsätzlich charakterisiert. „Das Defizitäre gehört zur Definition des Humanum.“ Das Nachdenken über die menschlichen Begrenzungen führt zur Befreiung des „Hast-du-was-bist-du-was“ und zur gegenseitigen Solidarität.

Im Blick auf Jesus Christus stellt Bach auch dessen Hilfebedürftigkeit fest und kommt zum Ergebnis: Hilfe empfangen ist genauso göttlich wie Helfen.“


Gläubige Gelassenheit

An Tobias werde ich noch sehr oft denken. Was mir an ihm auffiel, war seine Stimmungslage, ein Gemisch aus Besonnenheit und Heiterkeit. Tobias war von Geburt an schwer behindert, inzwischen ein Mann in mittleren Jahren. Wir sahen uns zwei-, dreimal die Woche. Wie oft haben wir ihn sagen hören: „Ja und?“

Als die Fußballmannschaft seiner Heimatstadt absteigen mußte, Tobias hielt den Kopf etwas schräg, schmunzelte und sagte: “Ja und?” Das konnte ich ja noch verstehen. Gewundert hat’s mich aber, als sein Rollstuhl plötzlich einen Platten hatte. Ich selbst beginne in solchem Falle leicht zu schimpfen. Tobias hielt den Kopf etwas schräg, schmunzelte und sagte: „Ja und?“

Nur als der Arzt ihm sagte, er habe nur noch Wochen zu leben, und als Tobias wieder sagte: „Ja und?“, da verstand ihn auch seine Mutter kaum noch: „Übertreibst du jetzt nicht, mein Junge?“ Aber Tobias sagte nur: „Hör mal, Mutter, hat Ostern denn nur mit Eiern zu tun – oder auch mit mir?“

Diesen Satz fand ich großartig, aber er machte mir Tobias ein bißchen fremd. Und das wurde erst anders, als seine Mutter mir erzählte – der Sohn war an einem Ostersonntag gestorben -, Tobias hätte fast nie von seiner Behinderung gesprochen. Nur einmal, da saßen sie beim Tee, und der Junge – ach, er war schon erwachsen -, der Junge stieß eine Tasse um. Da fing er an
zu weinen. Der Mann in mittleren Jahren fing wegen einer Tasse an zu weinen. Und er zischte vor sich hin: „Ich bin ein alter Krüppel.“
Wenn ich jetzt an Tobias denke, ist er mir nicht mehr fremd. Die Sache mit Ostern und die Sache mit der Tasse – das beides gehört eben zusammen. Tobias hatte Ziele, sehr hohe Ziele. Aber er war Mensch genug, zu wissen: Wir können unsere Ziele nicht immer fassen. An Tobias werde ich noch sehr oft denken.

aus: Ulrich Bach, Volmarsteiner Rasiertexte

Diese Geschichte von Ulrich Bach hat sicher dazu beigetragen, dass unser Jüngster den Namen “Tobias” bekommen hat. Ulrich Bach ist Sonntagabend, genau am Abend des 8. Geburtstages von “unserem” Tobias, verstorben.



So ging es nicht weiter
in der Kirche
wie vor 1933
Antisemitismus und Nationalstolz
auch in der Kirche
auch bei Theologen
Wegschauen später
als die Juden geholt wurden
Holocaust – die Öfen glühten
in Auschwitz und andernorts
nötig wurde Buße
kirchliche Umkehr
Theologie nach Auschwitz

So geht es nicht weiter
in der Kirche
wie vor 1933
Stärke und Stolz auf eigene Gesundheit
Diskriminierung der »Minderwertigen«
auch in der Kirche
auch bei Theologen
Wegschauen später
als behinderte Menschen geholt wurden
Euthanasie – die Öfen glühten
in Hadamar und andernorts
nötig wird Buße
kirchliche Umkehr
Theologie nach Hadamar

aus: Ulrich Bach, Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz. Bausteine einer Theologie nach Hadamar.
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